Unsichtbare Klimazone im Wohnzimmer: Lehm-PCM-Möbel puffern Hitze und Kälte ohne Strom
Unsichtbare Klimazone im Wohnzimmer: Lehm-PCM-Möbel puffern Hitze und Kälte ohne Strom
Hitze im Sommer, trockene Heizungsluft im Winter – und trotzdem eine ruhige, gemütliche Atmosphäre? Möbel mit Lehmoberfläche und integrierten Phasenwechselmaterialien (PCM) funktionieren wie ein passiver Akku für Raumwärme: Sie nehmen überschüssige Energie auf und geben sie zeitversetzt wieder ab. Ohne Ventilatoren, ohne Kompressor, ohne Strom.
Was sind PCM-Möbel?
Phasenwechselmaterialien speichern Wärme, indem sie bei einer bestimmten Temperatur schmelzen (latente Wärme). Beim Erstarren geben sie diese Energie wieder ab. In Möbeln werden PCMs als mikroverkapselte Wachse oder Salzhydrate in Platten, Kassetten oder Hohlräumen integriert und mit Lehm als diffusionsoffener, feuchtepuffernder Oberfläche kombiniert.
- Temperaturfenster: Haushaltsrelevant sind PCM mit 21–26 °C (typisch: 22 °C Wachs, 24–26 °C Salzhydrat).
- Speicherkapazität: 120–200 kJ kg-1 (≈ 33–55 Wh kg-1), praxisnah 80–180 Wh m-2 Panelfläche.
- Lebensdauer: 10.000+ Zyklen bei hochwertigen Mikroverkapselungen; Lehmoberflächen sind mehrfach renovierbar.
Aufbau eines Lehm-PCM-Möbels
- Deckschicht: 6–10 mm Lehmfeinputz, mit Pflanzenfasern armiert; offenporig, feuchtepuffernd, akustisch wirksam.
- PCM-Schicht: 12,5 mm Platten mit mikroverkapseltem Paraffin (22 °C) oder Salzhydrat (26 °C), Flächengewicht 7–10 kg m-2.
- Wärmeverteiler: 0,5 mm Aluminium- oder Graphit-Folie zur schnelleren Wärmeausbreitung.
- Träger: Birken-Multiplex oder MDF formaldehydarm (E0/E1), verdeckte Verschraubungen.
- Konvektion: verdeckte Einlass- und Auslassfugen auf der Rückseite (5–8 mm) für leichten Luftstrom an warmen Tagen.
PCM-Typen im Überblick
| PCM-Typ | Schmelzpunkt | Speicher (Wh kg-1) | Feuchteempfindlich | Empfohlen für |
|---|---|---|---|---|
| Paraffin (mikroverkapselt) | 20–24 °C | 35–55 | Nein | Wohn- und Schlafzimmer, gleichmäßige Lasten |
| Salzhydrat | 24–28 °C | 45–70 | Ja (korrosiv bei Leckage) | Küche, Flur (wenn gut gekapselt) |
| Biobasierte Wachse | 21–25 °C | 30–45 | Nein | Öko-Projekte, kindersichere Möbel |
Vorteile im Alltag
- Passive Kühlung: Spitzen reduzieren sich um 1–3 K, je nach Fläche und Lüftungsstrategie.
- Behaglichkeit: Weniger Temperaturschwankungen, angenehme Wand-/Möbelstrahlung.
- Feuchtepuffer: Lehm nimmt Wasserdampf auf und gibt ihn wieder ab; spürbar bessere Luftqualität.
- Akustik: Lehmoberflächen mit feiner Struktur dämpfen Mitten und Höhen.
- Wartungsarm: Keine mechanischen Teile, keine Filterwechsel.
Fallstudie: 18 m² Altbau-Wohnzimmer in Köln
- Setup: Lowboard 2,4 m × 0,5 m, Wandboard 2,0 m × 0,35 m, jeweils Lehm-PCM-Aufbau (gesamt 5,1 m2).
- Monitoring (Mai–Aug.): Sensoren für Luft- und Oberflächentemperatur, Fensterkontakte, Außenklima.
- Ergebnis:
- Maximale Raumtemperatur bei Südfenster: 2,5 K niedriger an Hitzetagen (31–33 °C außen).
- Verzögerung der Temperaturspitze: +75 min, besseres Zeitfenster für Nachtlüftung.
- Heizperiode: 8 % geringerer Energiebedarf dank tagsüber gespeicherter Solarwärme.
DIY: Sitzbank mit thermischer Masse (2,1 m × 0,45 m)
Materialliste
- 2 × PCM-Platte 1200 × 600 × 12,5 mm (22 °C, Paraffin, mikroverkapselt)
- Lehmfeinputz 25 kg + Glasfaserarmierung
- Birke-Multiplex 18 mm (Korpus), verdeckte Möbelverbinder
- Alu-Heat-Spread-Folie 0,5 mm, wärmeleitfähiger Kleber
- Standfüße 30 mm, Filzgleiter, Lüftungsleiste 8 mm Rückseite
- Lehmfarbe (pigmentiert) oder Kasein-Lasur
Schritt-für-Schritt
- Korpus verschrauben, Rückwand mit 8 mm oberer Lüftungsfuge einlassen.
- Alu-Folie auf Deckplatte vollflächig kleben (Blasen vermeiden).
- PCM-Platten zuschneiden, mit Kontaktkleber aufbringen, Stöße abkleben.
- Armierungsgewebe einbetten, 8–10 mm Lehmfeinputz aufziehen, trocknen lassen.
- Feinschliff, Lehmfarbe auftragen; Unterseite offen lassen für Konvektion.
- Aufstellen: 5–8 cm Wandabstand für Luftzirkulation, direkte Sonneneinstrahlung zulassen.
Bauzeit: ca. 4–6 h, Kosten: ~ 360–520 € (abhängig von PCM-Qualität).
Planung und Dimensionierung
Wie viel PCM pro Raum?
Als Faustregel liefern PCM-Flächen 10–25 Wh m-3 Raumvolumen spürbare Dämpfung. Für ein Wohnzimmer mit 35 m3 sind 350–875 Wh sinnvoll.
- Eine 1,2 × 0,6 m PCM-Platte (12,5 mm) speichert je nach Typ 80–150 Wh.
- 3–6 solcher Paneele an sonnenexponierten Möbeln/Wänden sind ein guter Start.
Positionierung
- Süd-/Westseite: tagsüber laden, nachts lüften (Stoßlüften, Querlüftung).
- Freie Luftwege: keine dichten Vorhänge direkt vor PCM-Flächen.
- Kein Thermoblock: keine dicke Dämmmatte auf Sitzflächen mit PCM bei Hitzeperioden.
Sicherheit und Gesundheit
- Emissionen: A+ oder Blue-Angel-zertifizierte PCM-Platten wählen; VOC nach ISO 16000 geprüft.
- Brandschutz: Verbundaufbauten B-s1,d0 erreichbar (Lehm wirkt brandhemmend); Herstellerdatenblatt beachten.
- Salzhydrate: nur in korrosionsgeschützter Kapsel; bei Beschädigung austauschen.
- Kinder & Haustiere: Mikroverkapselung verhindert Auslaufen; Kanten abrunden, Oberflächen speichel- und schweißecht (DIN 53160) beschichten.
Pro / Contra kurzgefasst
| Aspekt | Pro | Contra |
|---|---|---|
| Thermik | Reduziert Spitzen, erhöht Behaglichkeit | Wirkt nur im gewählten Temperaturfenster |
| Ökologie | Passiv, langlebig, reparierbar | Herstellung der Mikroverkapselung energieintensiv |
| Wartung | Keine beweglichen Teile | Fehlplanung schwer nachträglich zu korrigieren |
| Design | Lehm haptisch warm, vielseitig färbbar | Empfindlich gegenüber Dauer-Nässe |
| Kosten | Geringe Betriebskosten | Höhere Anschaffung vs. Standardmöbel |
Smart vernetzt – ganz ohne Hightech
Einfache Sensorik, große Wirkung
- Fensterkontakte koppeln an Automationen: Nachtlüften starten, wenn Außentemperatur 2 K unter Innen liegt.
- Temperatursensoren an PCM-Möbelrückseiten dokumentieren Ladezustand (Oberflächentemp. nahe Schmelzpunkt = geladen).
- Beschattung zeitlich steuern: Vormittags Sonne „tanken“, nachmittags Überhitzung vermeiden.
Pflege, Stil und Oberfläche
- Lehmfarbe mit Erd- und Mineralpigmenten; matt, blendfrei, fototauglich.
- Struktur: Kelle, Schwammbrett oder feines Relief für bessere Akustik.
- Reparatur: Kratzer lokal anfeuchten, nachspachteln, überstreichen.
Einkaufstipps und Kosten
- PCM-Platten: 45–95 € m-2 je nach Kapazität und Brandschutzklasse.
- Lehmputz/Lehmfarbe: 1–2 € m-2 (Material), Premium 5–9 € m-2.
- Heat-Spread-Folie: 6–12 € m-2.
- Gesamt DIY: 120–220 € m-2 fertige Sichtfläche (ohne Korpus).
- Checkliste: Zertifikate (VOC, Brand), Schmelzpunkt (22–26 °C), Speicherdichte, Hersteller-Detailaufbauten.
Erweiterungen: Wechselkassetten und Saison-Setup
- Wechselbare PCM-Kassetten: 22 °C für Sommer, 26 °C für Übergang; Modulschlitten im Sideboard.
- Kombination mit Tonziegeln: erhöhte Speicherfähigkeit, robuste Kanten.
- PV-Assist: tagsüber Ventilator auf niedrigster Stufe (Solar-Direktbetrieb) für sanfte Konvektion.
Fazit: Möbel als Klimahelfer
Lehm-PCM-Möbel verbinden Thermokomfort, Akustik und Materialehrlichkeit in einem Bauteil – und bleiben dabei wartungsfrei. Beginnen Sie mit einem einzelnen, sonnenexponierten Möbel (Sitzbank oder Sideboard), wählen Sie ein PCM um 22–24 °C und kombinieren Sie es mit Nachtlüftung. Nach zwei Wochen Messung wissen Sie, ob Sie die Fläche skalieren wollen. Wer die eigenen Räume leiser, konstanter und gesünder machen will, bekommt hier ein selten genutztes, aber äußerst wirksames Werkzeug an die Hand.
CTA: Skizzieren Sie heute Ihr erstes PCM-Möbel, messen Sie 7 Tage lang Raum- und Oberflächentemperaturen – und erleben Sie den Unterschied beim nächsten Hitzetag.
